Akademie Symposium Pilsen

Neunburg vorm Wald. Pilsen, die viertgrößte Stadt Tschechiens, steht nicht nur für den Automobilbauer Skoda und Plisener Bier, sie ist auch Universitätsstadt, zu der die Akademie Ostbayern-Böhmen (AOB) rege Beziehungen pflegt. Bei einem Symposium mit Hochschul-Professoren wurde im Wissenschafts- und Technologie-Park die demografische Entwicklung und die internationale Migration in Böhmen näher beleuchtet.

Seit 2015 nennt sich Pilsen auch Kulturhauptstadt Europas. Sie war das jüngste Ziel der Akademie Ostbayern-Böhmen. Gut ein Dutzend Akademie-Mitglieder machte sich mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Peter Deml und dem Organisator Hans Fischer auf den Weg nach Tschechien. Hier an der Westböhmischen Universität (WBU) stand das Herbstsymposium auf dem Jahresprogramm. Seit September 2016 pflegt die AOB partnerschaftliche Beziehungen, die wiederholt mit einer konstruktiven Zusammenarbeit untermauert wurde.

Begrüßt wurden die Gäste aus der Oberpfalz von Ing. Roman Čermák, Ph.D. und  Entwicklungsmanager Jan Černy, der die innovative Forschung mit Studenten der WBU in grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Rahmen der Donau-Moldau-Region vorstellte. Im ersten Referat zum Symposium beleuchtete doc. PaedDr. Jaroslav Dokoupil, Ph.D. aus der Fakultät Geografie, die demografische Entwicklung im Bezirk Pilsen, der drittgrößten Region nach der Fläche und der neuntgrößten nach der Bevölkerung in Tschechien mit rund  573 000 Einwohnern in insgesamt 501 Gemeinden. Bemerkenswert, neben dem großen Zentrum Pilsen gibt es nur wenige Mittelstädte. Der Anteil von Bürgern über 65 ist sehr hoch und führt zum dritthöchsten Altersindex in Tschechien. Dem natürlichen Bevölkerungsrückgang steht ein Zuwachs durch Migration gegenüber, so dass in Westböhmen die drittgrößte Minderheit an Ausländern lebt. 

In weiteren Referaten informierten zwei Professoren aus dem Fachbereich Politik und internationale Beziehungen. Doc. PhDr. Přemysl Rosůlek ging auf die Internationale Migration in Tschechien und die politischen Debatten ein. Seine einleitende These: „Die öffentliche Diskussion entspricht der Realität nicht“. Am Beispiel der Vietnamesen, Ukrainer, Slowaken, Romas Russen, Muslimen, Bulgaren und Rumänen zeigte er deren überwiegend negatives Image in der Volksmeinung auf und stellte es anhand konkreter Zahlen der Realität gegenüber. Innerhalb der sehr homogenen tschechischen Gesamtbevölkerung von etwa 10 Millionen gibt es rund 500.000 Ausländer, unter denen die Ukrainer (23%) und Slowaken (22%) und Vietnamesen (12%) die größten Gruppen darstellen. Neben Russen, Deutschen, Polen, Bulgaren und Rumänen kommt die Gruppe der Roma hinzu, deren genaue Zahl nicht feststellbar ist und die als nicht integrierbar gelten. Asylsuchenden kommen in erster Linie aus postkommunistischen Staaten wir der Ukraine und Kuba, kaum aus Afrika, Asien oder der Türkei. Von allen zwischen 1990 und 2014 gestellten Asylanträgen wurden nur 14 anerkannt! Gefördert von bestimmten Politikern und Parteien hat sich daher eine islamophobe und migrantophobe Einstellung breitgemacht, teilweise begleitet von antisemitischen Strömungen und besonders von einer Europa feindliche Haltung. Negative Äußerungen zur deutschen Bundesregierung und das Festhalten an den Beneš-Dekreten passen dazu. „Für große Teile der Bevölkerung ist die EU das Schlimmste, weil sie keine Änderungen wollen“, so der Referent. Trotz der geringen Zahl der anerkannten Asylbewerber hat man „kein Vertrauen, dass Integration gelingt“. Diese Wahrnehmung der Integration in der tschechischen Bevölkerung bestätigte und konkretisierte PhDr. Petr Krčál weiter. Als Hauptgründe für das Meinungsbild und Wahlverhalten der Tschechen machte Prof. Krčál die schlechten sozioökonomischen Verhältnisse bestimmter Gesellschaftsschichten, mangelnde Information und Bildung, Angst vor dem Fremden, Europaskepsis, die Identitätsfrage – die Diskussion um die niemals definierten ‚tschechischen Werte‘ – sowie das Auftreten von Lügnern und Demagogen aus. Eine nennenswerte Gegenargumentation gebe es leider nicht, unterstrich der Sprecher. Die sich anschließende Diskussion vertiefte besonders die Asylproblematik und Parallelen zur Situation in Deutschland.  

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Eine etwas zu kurz gekommene Stadtbesichtigung, geschuldet dem Feierabendverkehr, führte auf den großzügig angelegten Hauptmarkt in dessen Mittelpunkt die St. Bartholomäus-Kathedrale mit ihrem knapp über 100 Meter hohen Turm und die Pestsäule stehen. Dazwischen erhebt sich das gewaltige Rathaus im Renaissancestil. Ein weiteres dominantes Bauwerk war die Große Synagoge. Aus Zeitgründen konnte die zweitgrößte Synagoge Europas nur von außen bestaunt werden. Die gänzlich unter Denkmalschutz stehende Altstadt zieht wohl jeden Besucher in ihren Bann. Vorbildlich restauriert sind viele der der herrschaftlichen Häuser mit ihrer bestechenden Architektur. Pilsen entwickelt sich als Industrie-, Handels-, Kultur- und Verwaltungszentrum zu einem wichtigen  politischen und wirtschaftlichen Zentrum der Region. Die Industrie- und Universitätsstadt mit ihren rund 170 000 Einwohnern wird von Skoda, der Pilsener Urquell AG und der Westböhmischen Uni mit über 17 000 immatrikulierten Studenten geprägt. Bei einer kleinen Campustour konnte sich die Oberpfälzer Besuchergruppe von den verschiedenen Hochschuleinrichtungen informieren. Am Abend stand im Neuen Theater das Musical „Edith“ auf dem Programm. Die Inszenierung, in der eine Reihe der bekanntesten Chansons von Edith Piaf zu hören waren, begeisterte die Oberpfälzer, auch wenn man der Sprache nicht mächtig war.

Die Kreativzone „DEPO 2015“, ein nachhaltiges Ergebnis des Projekts Pilsen - Kulturhauptstadt 2015, war am zweiten Besuchstag der erste Anlaufpunkt, wo bereits Direktorin Anna Cudakova wartete. Dolmetscherin Šárka Kuthanová und Prodekan Dr. Tomas Cermak führten die Besuchergruppe durch das ehemalige Busdepot mit einem offenen Workshop, Kunststudios und einem Raum für künstlerische Aktivitäten. Bei interaktiven Ausstellungen waren auch die Oberpfälzer Firmen Gerresheimer und ZF vertreten. Orientierungshilfen wurden Schülern bei einer Ausstellung mit verschiedensten Vorführungen von 25 regionalen Mittelschulen in einer weiteren Halle geboten. Im benachbarten Robotik-Center präsentierten sich alle Fakultäten der Universität. „Hier ist man bestrebt junge Leute und den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Region zu halten“, erklärte Direktorin Cudakova.

Über die „No-go-Zone“, ein Stadtteil der überwiegend von Romas bewohnt wird, wie sie früher hieß, führte Šárka Kuthanová ihre Gäste in die Straße Klatovska 12, zu einem weiteren kulturellen Höhepunkt. Hier befindet sich die Wohnung von MUDr. Josef Vogla. Sie wurde von dem Architekten Adolf Loos (†1933) entworfen und nach damaligen Maßstäben sehr modern eingerichtet. Loos, ein international anerkannter Architekt fand in Europa nicht seinesgleichen. Er war Mitbegründer der puristischen Architektur mit charakteristischen reinen eckigen Formen, der Absenz von Ornamenten aber mit einfachen funktionalen Formen und edlen Materialien. Loos begann seine Karriere in Wien und bediente meist reiche jüdische Unternehmer. Von 13 projektierten Interieure sind nur acht geblieben. Salon und Esszimmer der Arztwohnung sind 1928/29 prunkvoll mit einer Marmortäfelung, höhenverstellbare Leuchter und einer Spiegelwand versehen. Einer der schönsten Pilsener Wohnungsinterieurs konnte in der Bendova Straße 10 bestaunt werden. Die repräsentativ ausgestattete Luxuswohnung der Familie Kraus ist mit einem großformatigen Porträtfoto des Stararchitekten versehen und bildete den Höhepunkt des Kulturprogramms bei den tschechischen Freunden.

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