Neukirchen-Balbini / Neunburg v. Wald. Beim Jahresthema „Erde“ ging es im Rahmen einer Exkursion der Akademie Ostbayern Böhmen tatsächlich unter die Erde. Zwei Erdställe, auf oberpfälzisch „Schrazllöcher“, wurden besichtigt. Mit Birgit Symader und Erika Eichenseer stellten zwei Fachfrauen danach eindrucksvoll den aktuellen Stand der Forschung und die damit verbundene Sagenwelt vor.

„Sie sind die letzte Besuchergruppe vor der Schließung und dem Ausbau als Besucher-Erdstall“, so begrüßte Brigit Symader, Vorsitzende des Arbeitskreises Erstallforschung, die Besuchergruppe der Akademie Ostbayern Böhmen am Einstieg in den Erdstall Rabmühle bei Stamsried. Die Teilnehmer konnten selbst im Schein der mitgebrachten Taschenlampen einen Eindruck von den Dimensionen dieser von Menschenhand geschaffenen Erdhöhle machen, in der selbst erwachsene Menschen teilweise noch aufrecht stehen konnten.

Um weitere Gänge und Räume zu erreichen, musste auch durch enge Schlupfe gekrochen werden. Deutlich waren Bearbeitungsspuren an den Wänden, Stufen, Tast- und Sitznischen erkennbar. Mit einigen Erdflecken an der Kleidung kamen schließlich alle wieder wohlbehalten ans Tageslicht und ließen sich anschließend im Schießl-Anwesen in Neukirchen-Balbini über das dort geplante Zentrum zur Erdstallforschung informieren. Im Keller zeigte ein Blick durch den Eingang des dortigen Erdstalls die wesentlich kleineren und engeren Verhältnisse.

Lebendig und mit aussagekräftigem Bildmaterial erläuterte Frau Symader anschließend im Gasthaus Decker in Anwesenheit von Bürgermeister Thomas Dauch und Ortsheimatpfleger Karl-Heinz Probst den aktuellen Forschungsstand zu den „Schrazllöchern“, wie die Erdställe im Oberpfälzer Volksmund genannt werden. Die Begriffe zeigen, dass diese „Orte“ in der Erde auch Gegenstand einer Vielzahl von Sagen und Märchen wurden.

Seit etwa 42 Jahren werden diese unterirdischen, künstlich geschaffenen Gangsysteme erforscht, die meist ein Alter von mindestens 1000 Jahren haben. In Europa sind sie weit verbreitet, besonders in der Oberpfalz, in der Gegend um Brünn und in Österrreich zwischen Linz und Wien. Eine Häufung der Vorkommen zeigt sich dort, wo in der Vergangenheit bewusst gesucht wurde. Auch heute werden immer noch Erdställe entdeckt, leider aber oft unwiederbringlich zerstört.

Die niedrigen, engen, ein- oder mehrteiligen Gangsysteme mit Schlupfen, Kammern, Nischen, Seiten- und Rundgängen sind immer fundleer aus der Nutzzeit, betonte Symader. Diese Tatsache war Anlass für eine Fülle von Theorien. Kultische Zwecke könnten Leergräber, Warteräume für die Seelen von Verstorbenen, Tempelreste, Grabstätten, Bußhelfer bei Abstreifbräuchen nach begangenen Sünden gewesen sein.

Als einfache pragmatische Gründe ihrer Entstehung wird die Nutzung als Winterquartier, Fluchtraum, Lagerraum, Wohnung, unterirdische Wege, Ställe, Verstecke oder gar Heilzwecke vermutet.

Doch für alle diese Annahmen fehlen die Befunde. So ist es nicht verwunderlich, dass sich im Laufe der Zeit eine umfangreiche Märchen- und Sagenwelt entwickelte - mit Kobolden, Zwergen, Schrazln, Geistwesen, sogar außerirdischen Wesen. Dies war nun das Metier von Erika Eichenseer, Autorin sowie Sammlerin und Herausgeberin von Schönwerth-Sagen. In freier Erzählung trug sie mehrere typische Geschichten vor, in denen kleine – sehr unterschiedlich beschriebene - unterirdische Wesen mit Menschen in Kontakt kamen.

Diese Erdbewohner werden in den Geschichten gut und helfend dargestellt, gehen aber wegen des Fehlverhaltens der Menschen für immer weg. Die Geschichten, ähnliche gibt es übrigens auch in anderen Teilen Europas, lassen meist eine tiefenpsychologische Deutung zu, die mit wichtigen Lebensabschnitten und Verhaltensweisen korrespondieren. Bezüge lassen sich auch herstellen zu den Geschichten um die Venezianer-Mandln und Totenbräuche aus der Völkerwanderungszeit. Auf alle Fälle sind die Sagen eine noch nicht ausgeschöpfte Quelle der Forschung.

Beiden Referentinnen gelang es, bei den Teilnehmern ein Bewusstsein zu wecken für „eines der größten Rätsel der Erde unmittelbar vor unserer Haustüre“. Ein Ort zum Erhalt und zur globalen Erforschung der Erdställe soll das in den nächsten drei Jahren entstehende Zentrum für Erdstallforschung in Neukirchen-Balbini werden. Von Hans-Peter Weiß