Literatur in Wanderstiefeln

Unterwegs sein, das ist mehr, als nur eine Strecke zurückzulegen. Bewusst zu Fuß, in Gemeinschaft und offen für die Umgebung und vor allem für Begegnungen, über mehrere Kilometer hinweg, bilden die Grundlage für die Schilderung dieser dabei gewonnenen Eindrücke. Es sind Geschichten, die zum Nachdenken anregen. „Literatur in Wanderstiefeln“, so lautet ein neues Projekt von Schriftstellern, die sich „unterwegs“ auf die Suche nach Neuem machen.

Nittenau. (sir) In zehn Etappen wandert eine Gruppe von Schriftstellern von Regensburg nach Pilsen, schreibend und lesend. „Es ist ein Geschenk an die Kulturhauptstadt Pilsen 2015“, erläutert Dr. Marita A. Panzer, Vorsitzende des VS Ostbayern (Verband deutscher Schriftsteller, Regionalgruppe Ostbayern) am Samstagabend im Haus des Gastes. Bürgermeister Karl Bley hieß die Gäste willkommen, die in zehn Etappen wandern und dabei die Literatur pflegen. Panzer dankte für den netten Empfang. Die erste Etappe wurde tags zuvor in Regensburg gestartet, das erste Ziel Ramspau erreicht.

Am nächsten Tag ging es nach Nittenau weiter. Am Nachmittag erreichte die Gruppe Hof am Regen. „Mit letzter Kraft bin ich die Stufen hinaufgegangen“, zeigte sich Panzer dankbar über den herzlichen Empfang mit Führung durch die Burg und der Versorgung mit Kaffee und Kuchen. Im Haus des Gastes schleppte Carolin Schmuck mit ihren Helfern eiligst Stühle herbei, damit die hohe Zahl an Gästen Platz fand für die anschließende Autorenlesung.

 

Petra Wolf und Agnes Kloos stimmten mit ihren Geigen darauf ein und unterhielten zwischen den literarischen Beiträgen musikalisch. Als Moderatorin fungierte Elfi Hartenstein. Aus dem Buch „unterwegs“, Geschichten aus Westböhmen und Ostbayern, trug sie eines ihrer Werke vor. Danach präsentierten Siegfried Schüller und - nach einer Pause – Vaclav Gruber ihre Geschichten daraus vor. „Unterwegs“, die darin enthaltenen Erzählungen noch weiterer Schriftsteller sind sowohl in deutscher als auch in tschechischer Sprache vorgetragen. „Kulissenwechsel“, so ist der Beitrag von Elfi Hartenstein überschrieben, den sie den Zuhörern nahebrachten: Es ist das Jahr 1991, als die Grenze zur tschechischen Republik wieder passierbar war. Marianne passierte die Grenze, wobei sich das Bild, das sich ihr bot, schlagartig veränderte. Die Begegnung mit Jana, einer blutjungen Prostituierten und die vielen „Janas“, Hedwig und Marie am Wegesrand, änderte den Blickwinkel. Wohlstand auf der einen Seite bei der erfolgreichen Innenarchitektin Marianne, die Not durch plötzliche Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite: Der „Kulissenwechsel“ war mehr als die Beschreibung von Äußerlichkeiten wie die Landschaft. Der Kapitalismus brachte Gewinner und Verlierer hervor.

Eine oberflächliche Zufallsbekanntschaft bei einer Fahrt im Zug, mit „aus den Augen, aus dem Sinn?“ Die nächste Begegnung schilderte Siegfried Schüller mit seiner Geschichte „D 300 - Nymphe im Nachtzug“. Darin schildert der junge wehrpflichtige Max zunächst die Aussage eines der älteren Offiziere, deren Kernaussage darin bestand, dass ein Fingerdruck am Abzug der Startschuss für den Dritten Weltkrieg hätte sein können. Im Nachtzug trifft er auf Sybille, Näherin und Nymphomanin, wie sie freimütig und selbstverständlich einräumte. Sie teilten eine Brotzeit und eine Flasche Wein und kamen sich schließlich näher. Ein fehlendes Kondom stoppte die Bemühungen von Max. Die richtige Berührung, dann hätte er weiter kommen können bei ihr, zeigte sich Max überzeugt. „Nur ein leichter Fingerdruck am Abzug, und alles wäre vielleicht ganz anders verlaufen – im Großen wie im Kleinen“. Die Berlinerin Sybille ging ihm auch beim anschließenden Kneipenbesuch, wo er auf seine Freunde traf, nicht aus dem Kopf. Ein paar Wochen später bekam er einen rosa Umschlag aus Berlin: „Weißt Du noch…?“, hatte sie geschrieben, „wir haben zusammen ‘ne Flasche geleert.“

Vaclav Gruber las auf Tschechisch seine Geschichte und beeindruckte mit dem wunderbaren Klang dieser Sprache. Auch wenn die Zuhörer dem Tschechischen nicht mächtig war, ließ sich aus der Betonung einiges erkennen, so den Dialog zweier Menschen. Elfi Hartenstein lieferte anschließend die deutsche Übersetzung dazu. „Bis ans Ende der Welt“, beschrieb die Gedanken von Tomas und Jana auf dem Jakobsweg. In der Kathedrale stand Tomas vor der hölzernen Statue von Jakobus. Die beiden hielten Zwiesprache. Tomas und Jana gingen zum Kap Finistere. Tomas kletterte am Ende des Fußweges über Felsblöcke und Klippen, ergriff dabei einen Pilgerstab, der inmitten der Felsen ragte. Wieder bei Jana angelangt gingen beide zum Felsen hinter dem Leuchtturm – am Ende der Welt angekommen. „Und wenn wir uns umdrehen“, so Jana, dann sind wir am Anfang.“ Und noch eine Erkenntnis setzte sich durch: „Man muss den Weg gehen und nicht nur anschauen.“

Verdienten Applaus ernteten die Autoren und die beiden Violinistinnen für ihre Beiträge. Den Weg gehen und nicht nur anschauen, das passe genau zu dem Projekt „Literatur in Wanderstiefeln“. Allen Geschichten gemein war die Ermunterung an die Anwesenden, offen zu sein, unterwegs, für seine Umgebung und vor allem für seine Mitmenschen, lernen zu verstehen. Wer möchte, der kann die Gruppe gerne begleiten.

Am nächsten Tag brach sie nach Roding auf. Danach geht es über Cham, Furth im Wald, Eschlkam, Domazlice, Chudenice, Merklin bis nach Pilsen-Doudlevce und zum Schluss ins Zentrum in Pilsen. Interessierte, die ein Stück mitwandern wollen, sind gerne willkommen. Begegnungen unterwegs, davon inspiriert, werden sicher wieder erzählenswerte Geschichten entstehen.

 

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