Sieg der Ehre und Würde

Zeitzeugen können nicht vergessen. Die Erinnerung lässt sie nicht los. Sie leben ihren Alltag und doch flackern immer wieder die Geschehnisse von damals auf. Das gegenwärtige Flüchtlingsdrama trägt sicher zu diesen Erinnerungen bei. Bei Gedenkveranstaltungen bekommen diese Erinnerungen ein Gesicht, werden Schicksale deutlich, allgegenwärtig dieses Ziel vor Augen: dass so etwas nie wieder geschieht.

Es ist die Geschichte von Zygmunt Marzec, der die Menschen zu einer Gedenkfeier zusammenführte, neben den Ehrengästen auch dessen Verwandte. Initiator Franz Probst hieß sie willkommen. Am Sonntagnachmittag fanden sich viele Menschen in einem Waldstück bei Bodenstein ein, an der Stätte, wo der polnische Zwangsarbeiter im Alter von 21 Jahren hingerichtet wurde. Vor drei Jahren wurde hier zu seinem Gedenken bereits ein Holzkreuz errichtet, das nun durch einen Granitstein ersetzt wurde. „Holz ist in seiner Haltbarkeit begrenzt, das harte Granitgestein dagegen dauerhaft“, betonte Bürgermeister Karl Bley. Denn dauerhaft soll die Erinnerung an Zygmunt Marzec aufrechterhalten werden. Mahnung soll das Gedenken sein, so das Stadtoberhaupt, gerade in der heutigen Zeit, wo Tausende Menschen vor Krieg und Gewalt fliehen.

„Was war damals passiert?“ Augenzeuge Albert Zwicknagl hatte Thomas Muggenthaler vor etwa drei Jahren zum ersten Mal hierhergeführt und erzählt. Muggenthaler, Autor von „Verbrechen Liebe“, ging der Historie auf den Grund. Hier an der Stelle des Gedenksteins wurde Zygmunt Marzec durch den Galgen hingerichtet, ohne Prozess und ohne Urteil. Verliebt hatte sich der 21-jährige polnische Zwangsarbeiter in ein deutsches Mädchen. Als rassisch minderwertig gegolten haben die Polen, „Menschen zweiter Klasse“, äußerlich gekennzeichnet durch ein „P“. Zygmunt Marzec wurde zunächst von Bodenstein nach Flossenbürg gebracht. Schwer misshandelt gelangten er und ein weiterer Pole zunächst nach Nittenau. Marzec wurde nach Bodenstein gebracht, wo er hingerichtet wurde, ohne Prozess, Anhörung und ohne Urteil. Sein Landsmann erlitt in Deggendorf denselben schrecklichen Tod.

Landrat Thomas Ebeling sprach von einer wichtigen Geste des Gedenkens, auch 70 Jahre nach den Verbrechen der Nazizeit, sich zu erinnern. Sein Dank galt denen, die den Gedenkstein errichtet haben, sein Mitgefühl den Angehörigen. „Danke für die Initiative.“

Leo Feichtmeier, Pfarrer in Ruhe, spendete dem Gedenkstein den kirchlichen Segen. Zeitzeuge sei er, Jahrgang 1933, gewesen: „Vieles, was wir damals erlebt haben, ist wieder lebendig geworden“, machte er auf die Entschärfung der Bombe vorige Woche in Regensburg aufmerksam. Das Elend wirke immer noch nach. So wie es die Bomben in der Erde gebe, gebe es noch Bomben in den Köpfen, die entschärft werden müssen. „Zygmunt Marzec können wir nicht mehr ins Leben zurückrufen, aber seine Ehre wieder herstellen“, betonte der Geistliche. Denn ein christliches Begräbnis sei ihm damals verwehrt worden. Die Segnung sei auch Ausdruck von Protest gegen Unterdrückung. Feichtmeier lud alle Anwesenden ein, den Gedenkstein ebenfalls mit Weihwasser zu besprengen. Diese kamen dieser Aufforderung gerne nach. Die polnischen Anwesenden sprachen das Vaterunser und das Avemaria in ihrer Landessprache. Beide Gebete wurden danach auf Deutsch gesprochen. Marek Melson umrahmte die Gedenkfeier musikalisch.

 

Tief bewegt verfolgte die Trauergemeinde, wie die Angehörigen Ryszard Ziembinski, Barbara Dudkowski, Barbara Róg, Halina, Dariusz und Aneta Paramiak sowie Maria Ziembinska einen Kranz und Blumen am Gedenkstein niederlegten. Ryszard Ziembinski verlas auf Polnisch das Evangelium vom auferweckten Lazarus. Barbara Dudkowski übersetzte es und meinte, dass diese Bibelstelle vielleicht unpassend erscheine. Für die Angehörigen sei dieses Gedenken so etwas wie eine Auferstehung, ein „Wiederkommen ins Leben“ von Zygmunt Marzec. „Es ist schrecklich, dass du so sinnlos sterben musstest“, richtete sie ihre persönlichen Gedanken an den Verstorbenen und an die Anwesenden gleichermaßen. Selber Mutter von Söhnen erachtete sie den Schmerz von Zygmunt Marzecs Mutter als unvorstellbar. Neben dem persönlichen Gedenken und der Äußerung von Respekt angesichts des hohen Leids des von Marzec und dessen Angehörigen gedachte sie auch all den Menschen, die Opfer geworden sind in diesem sinnlosen Krieg, unabhängig von der Nationalität. Es gebe Menschen in Nittenau, die nicht vergessen haben und die ihrem Gewissen folgen. „Ich hoffe auf eine Welt, wo das eigene Gewissen mehr Macht hat, als das derzeit bestehende Gesetz als Macht der Macht“, so die Sprecherin. „Ich hoffe es für alle Kinder, Mütter und Väter der Welt.“ Abschließend dankte Franz Probst allen, die sich in irgendeiner Weise für das Gedenken verdient gemacht haben und daran teilgenommen haben. Beim Verlassen dieser geschichtsträchtigen Stätte überwog dem Vernehmen nach das Gefühl, dass dieser Ort des Grauens und Verbrechens zum Ort des Siegs über Menschenverachtung wurde. Würde und Ehre wurden wieder hergestellt, mit dem Ziel, dass sich so etwas nie mehr wiederholt.

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